Es ist erstaunlich, dass ein Getränk wie Gin, das in Deutschland und der übrigen westlichen Welt inzwischen konsumiert wird wie Milch, immer noch Geheimnisse hat. Was damals in der ersten Blütezeit des Gin eine bekannte Sache war, kennt heutzutage nur noch eine geringe Anzahl von Menschen. Grund genug die Kategorie der Cream Gins eingehender zu untersuchen.
In einer frühen Illustration über Gin Palaces aus der Vergangenheit, also von Bars, in denen Gin verkauft wird, ist eines der beliebten Motive dieser Zeit zu sehen. Ein Etablissement mit Holz ausgekleidet und das Buffet ist mit Holzplanken verstärkt. Eine lautstarke Menge an der Bar, offensichtlich betrunken. Und ein Fass mit der Aufschrift „Cream Gin“.
Gin wurde zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert in solchen Lokalen oftmals in Fässern aus Holz gelagert. Diese lagerten direkt in der Bar und enthielten meistens mehr als nur das Destillat aus Wacholder. So war der Gin zu dieser Zeit äußerst schlecht für den Genuss als pures Getränk geeignet. Preiswert und rasch in der Herstellung sollten möglichst umfangreiche Mengen hergestellt werden. Und natürlich so günstig wie machbar, bedient wurden die untersten sozialen Schichten.
Um dem preisgünstigen Gin seine alkoholische Schärfe zu entziehen, wurden die Hersteller, die Gäste und die Bartender einfallsreich. So entstand neben einigen Klassen wie Young Tom und Old Tom Gin eine zusätzliche Kategorie – der Cream Gin.
Kaschierung von minderwertigem Schnaps
Die Gäste in Gin Palaces standen zunächst vor einer einfachen Auswahl. Holland’s Gin oder English Gin. Ersterer war nichts weiter als Genever und der andere wurde mit Begriffen wie Old Tom, Young Tom oder dem Namen der Brennerei wie zum Beispiel Booth’s oder Warringtons bezeichnet.
Zu jener Zeit war Großbritannien der bedeutendste Importeur von Champagner und Personen, die eine solche Flasche leer zur Hand hatten, konnten sich diese Flasche im Gin Shop neu füllen lassen. Natürlich konnten die Gäste auch vor Ort ein oder zwei Gläser bestellen und ob der Gin in der Flasche oder im Fass eingelagert wurde, hing vom betreffenden Lieferanten ab.
Der Vorteil von Fässern damals war, dass das Getränk die Möglichkeit hatte, wegen der Reaktionen mit Sauerstoff aus der Luft und Holz milder zu werden, die Schärfe zu vermindern und neuartige Aromen aufzunehmen.
Für den preiswerten Kater ließ man sich einiges einfallen. Schlechter Gin wurde wie Old Tom neben unterschiedlichen Gewürzen zusätzlich mit einer Menge an Zucker versetzt. Um diese Kaschierung von geringwertigem Schnaps noch zu toppen, fügten einige Produzenten dem Gin noch Sahne hinzu. Geboren war damit der „Cream Gin“.
Drei Schritte der Herstellung, die nur einen Zweck hatten – billigen Fusel genießbar zu machen. Ganz gleich, ob Gewürze, Zucker oder Sahne, im London der damaligen Zeit war man für den preisgünstigen Rausch mehr als einfallsreich.
Cream Gin – die Maske des Minderwertigen
Obwohl der Großanteil der damaligen Londoner Kunden nicht über die Ursache Bescheid wusste, war doch vielen deutlich bewusst, dass Cream Gin ein intensives Getränk deutlich weicher und cremiger macht. Es war daher üblich, in Gin Palaces im Viktorianischen Zeitalter Getränke aus Gin, Zucker und Sahne herzustellen und diesen unter gut klingenden Namen wie „Cream of the valley“ aus dem Fass zu offerieren.
Zwar verwandelte man früher minderwertigen Schnaps durch etwas Sahne nicht gleich in ein hochwertiges Destillat, aber die Wirkung von Sahne auf Alkohol war wahrnehmbar. Und auch wissenschaftlich zu erklären. Gin zu dieser Zeit war, sofern er nicht aus guten Brennereien stammte, ein ziemlich minderwertiges Getränk. Rasch und vor allem mit nur wenigen Kosten gebrannt, sollte es nur zum schnellen Rausch verhelfen. Sahne hinzufügen machte das Procedere etwas erträglicher.
Preisgünstige Getränke, wie jene Gins, enthalten zu einem großen Teil Fuselalkohole wie zum Beispiel Methanol und Isopropanol. Zwar ist noch anderer Alkohol darin enthalten, diese verschlechtern aber das Aromen und das Geschmacksprofil. Methanol und Isopropanol verfügen über einen deutlichen alkoholischen Geschmack und äußerst schlechte Eigenschaften für die Gesundheit.
Durch die in der Sahne befindlichen Fette und das Protein kommt es mit einem Anteil der Alkohole zu bestimmten chemischen Reaktionen. Natürlich wird der auf diese Art und Weise entstandene Cream Gin nicht weniger schädlich für die Gesundheit, es macht ihn aber trinkbarer. Zudem bildet fetthaltige Sahne einen Fettfilm im Mund. Dieser reduziert den beißenden Charakter des Fusels.
Cream Gin heute
Cream Gin ist heutzutage gewissermaßen der schwarze Kater der Gin-Familie. Beleuchtet man seine Bedeutung, kann man froh sein. Wie aber auch bei Old Tom Gin, dessen Entstehung die gleichen Ursachen wie beim Cream Gin zugrunde liegen, ist auch dort ein neuer Ansatz denkbar.
Anders als in der ersten Blütezeit des Gins im Viktorianischen Zeitalter, in welcher Cream Gin oftmals zum Standardangebot zahlreicher Bars gehörte, ist diese Klasse heutzutage nahezu in Vergessenheit geraten. In den letzten Jahren gab es genau einen Versuch Cream Gin wieder salonfähig zu machen, und dieser kam aus London.
Wegen der Sahne war eine Destillation mittels üblicher Thermolyse, also mittels Auftrennung nach verschiedenen Siedetemperaturen nahezu nicht möglich. Die Firmen griffen zur Destillation mittels Kälte, bei der durch geringeren Druck bei der Destillation nur geringe Temperaturen benötigen werden.
Zwar erzeugt das ebenfalls Cream Gin, aber einen vollkommen Anderen als früher. Der Ansatz, die Sahne als Botanical vor der Destillation zu verwenden, bedingt mehr Geschick. So lässt man sich jedoch das Marketinginstrument „Distilled Gin“ nicht entgehen und kann es sich auf die Etiketten schreiben.
Frank ist 58 Jahre alt und seit 2017 Autor bei Ginsalabim. Seit vielen Jahren erkundet er die faszinierende Welt der Spirituosen mit unersättlicher Neugierde und Hingabe. Als leidenschaftlicher Sammler und Kenner hat er sich einen Ruf als vertrauenswürdige Quelle für Expertenwissen aufgebaut. Er teilt nicht nur sein umfangreiches Fachwissen über Gin, Vodka, Whisky und andere Getränke, sondern auch seine persönlichen Geschichten und Empfehlungen, um eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten zu inspirieren und zu verbinden.